Alte Idee auf neuen Beinen.

Alte Idee auf neuen Beinen!


Das Nutzungskonzept für das Areal von St. Gabriel wurde vom Steyler Immobilienfonds über viele Jahre mit Bedacht entwickelt. Es zollt der 130-jährigen Geschichte des Steyler-Ordens gebührenden Respekt und interpretiert den Ort zugleich auf zeitgeistige Weise. Vorstand Friedrich Mayrhofer im Gespräch über eine alte Idee, die auf neuen Beinen in die Zukunft geht.

Die Entwicklung des Nutzungskonzeptes für St. Gabriel war eine umfangreiche und vielfältige Aufgabe – wie sind Sie an die Sache herangegangen?

Es war nicht so, dass wir eine fertige Idee hatten, um sie dann Schritt für Schritt abzuarbeiten. Vielmehr haben wir eine Idee über sieben Jahre stetig entwickelt. Der erste Auftrag war zunächst einmal zu eruieren, was braucht der Orden, was braucht dieser Ort, um in eine gute Zukunft gehen zu können? Diesen Fragen auf den Grund zu gehen, war eine Puzzlearbeit – irgendwann ist ein konkretes Bild entstanden, das stark mit der Historie von St. Gabriel verknüpft ist.

„Wir haben eine bestehende Uridee konsequent weiterentwickelt.“

Die Idee der Lebenswelten ist demnach nicht brandneu?

Nein, wir haben sie nur neu interpretiert, wenn Sie so wollen. Denn die Uridee der Lebenswelten ist schon entstanden, als sich ordensfremde Mieter auf dem Areal ansiedelten. Der frühere Provinzial, Pater Josef Denkmayr SVD hat dann diese Idee mit dem Begriff „Lebenswelten St. Gabriel“ umschrieben. Wir haben sie also nur auf neue Beine gestellt. Denn vieles, was das Leben ausmacht – vom sozialen, spirituellen, lehrenden, lernenden bis hin zum festlichen Bereich war ja bereits vorhanden. Der Gebäudekomplex beherbergte bereits Einrichtungen wie ein Bildungshaus, Wohnmöglichkeiten, Handwerksbetriebe, einen Verlag, eine Montessori-Schule oder auch die Missionsdruckerei. Wir haben nun dieser Fülle ein neues Dach gegeben, die Idee mit dem Angebot rund um das Gabrium und den neuen Betrieben noch bunter gemacht. Im Fokus unseres Konzeptes steht damit das offene Fenster zur Welt, der Blick über den Gartenzaun. Denn ein Kloster im eigentlichen Sinn war St. Gabriel ja nie. Es war immer das Bestreben, sich der Welt zu öffnen, nicht sich ihr zu verschließen.

„Im Fokus unseres Konzeptes steht das offene Fenster zur Welt, der Blick über den Gartenzaun.“

„Lebenswelten“ ist ein weiter Begriff.  Was verstehen Sie genau darunter?

Eine gelungene Lebenswelt, ist ein Ort, wo ich bestimmte Rahmenbedingungen vorfinde, um mich wohl und glücklich zu fühlen. Es braucht ein intaktes privates Umfeld, die Möglichkeit beruflich sein Potential und seine Kompetenzen leben zu können und eine Atmosphäre, die spirituelle Erfahrungen zulässt – auf welche Weise auch immer. Und nicht zuletzt braucht es gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Frieden, Freiheit und Demokratie ermöglichen – denn ohne diese sind die anderen Faktoren wertlos. Die Lebenswelten von St. Gabriel sollen diese Rahmenbedingungen möglichst für jeden Weltenbewohner erfüllen. Gelungene Lebenswelten sind für mich jedenfalls auch offene Lebenswelten, wo sich Ideen gegenseitig befruchten und Synergien spürbar sind

Die Steyler-Missionare verbringen ja hier auf dem Areal ihren Lebensabend. Sie kommen somit auch aus ihren eigenen Lebenswelten zurück?   

Lebenswelten sind immer einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. So hat sich auch die Welt für die Missionare immens verändert – das sieht man alleine an der Kritik des Missionsbegriffes. Früher hat man das Evangelium den heidnischen Völkern gebracht, das war ein klarer Auftrag, nach dem Motto: Hier sind wir, die „anderen“ sind dort. Die Missionare, die vor einem halben Jahrhundert hinausgegangen sind, sind tatsächlich in eine andere Welt gekommen. Mittlerweile leben wir in einer Welt, die alleine aufgrund der Kommunikationstechnologie sehr eng zusammengewachsen ist.

„Gelungene Lebenswelten sind für mich offene Lebenswelten, wo sich Ideen gegenseitig befruchten und Synergien spürbar sind.“

Demnach verschmelzen Lebenswelten immer stärker?

Ich glaube nicht, dass sich die Unterschiede zwischen den Kulturen damit automatisch aufheben und alles verschmelzen soll, das ist nicht der Auftrag. Aber das Interesse und die Neugierde kann stärker von beiden Seiten genährt werden. Pater Gassner, der etwa auf der Insel Macau vor Hongkong arbeitet, erzählte mir vor kurzem, dass seine Studenten hier im Gabrium Seminare besuchen wollen. Wir haben auch Anfragen von jungen Missionaren aus Ohio, die sich für unsere Ethik im Gesundheitswesen interessieren. Das Verbindende und Gemeinsame unterschiedlichster Kulturen wird somit gestärkt, und das ist wunderbar, denn bei gelungenen Lebenswelten geht es immer auch um eine gegenseitige Befruchtung.

Das braucht aber auch eine große Offenheit und viel Mut?

Ja, das zeichnet aber die Steyler Missionare auch von jeher aus. In ihren neuen Lebenswelten wären sie verloren gewesen, hätten sie nicht sehr viel Mut und Offenheit mitgebracht. Wenn ich hier im Missions-Ethnographischen Museum Dinge betrachte, die die Missionare von ihren Aufenthalten mitgebracht haben, wird mir das besonders stark bewusst. Eine Maske aus Neuguinea, ein Speer aus dem Amazonasgebiet oder eine Gebetsrolle aus Äthiopien – das sind für mich wunderbare Artefakte aus einer fernen Welt. Für die Missionare waren sie aber Teil ihrer eigenen Welt – wie mitunter auch Traditionen wie Geisterbeschwörungen, Verwünschungen oder Schamanenkulte. Obwohl man in der Missionierung ja gerade diesen heidnischen Ansätzen entgegenwirken wollte. Aber um mit Menschen zu leben, muss man ihre Kultur verstehen und diese annehmen können. Und dieses gegenseitige Annehmen ist ja das zentrale Thema hier in St. Gabriel.

„St. Gabriel ist manchmal auch
ein Sprungbrett in ein neues Leben.“

Stichwort Flüchtlingsbetreuung – hier ist das Thema des gegenseitigen Annehmens besonders zentral?

Absolut. Denn wer wären wir, wenn wir diesen Ort nicht bereitstellen würden, für Menschen in Not? Die Bereitstellung des Asylheims der Caritas war eine bewusste Entscheidung des Ordens. Es bietet rund 140 Personen, AsylwerberInnen mit erhöhtem Betreuungsbedarf, deren Angehörigen sowie unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Zuhause und ein Sprungbrett in ein neues Leben. Und das ist natürlich wieder eine Lebenswelt für sich. Daher braucht es von jedem, ob Mieter, Gast oder Arbeitnehmer, hier auf dem Gelände auch diese Bereitschaft, die Unterschiedlichkeiten anzunehmen. Wer sagt, ich will hier keine Kinder oder Jugendliche mit dunkler Hautfarbe sehen, ist definitiv am falschen Ort.

Auch wenn das Nutzungskonzept an die Tradition von St. Gabriel anknüpft – mit dem Hereinholen neuer Betriebe und der Eröffnung des Gabrium erwecken Sie den Ort aus einem Dornröschenschlaf?

Ja, keine Frage – viele Leute, auch jene, die knapp vor den Toren von St. Gabriel wohnen, hatten keine Ahnung, was auf dem Gelände hier so alles passiert. Diese Tore nun weit aufzumachen, war eine bewusste Entscheidung des Ordens, und diese war nicht einfach. Es gibt natürlich immer Leute, denen es am liebsten wäre, es würde alles so bleiben, wie es ist. Aber mit einer solchen Einstellung wäre man auch wirtschaftlich nicht zukunftsfähig.

Wo sehen sie St. Gabriel in fünf Jahren?

Da sollte dieser Standort im Idealfall eine Welt im Kleinen abbilden. Das ist vielleicht jetzt etwas vermessen zu sagen. Aber ich hätte einfach gerne, dass man hier gut leben kann, mit allem was dazu gehört. Das betrifft ganz stark den persönlichen Austausch, eine hohe Qualität der Kommunikation. Der Dorfbegriff ist ja als solcher schon sehr abgenutzt, aber es geht in diese Richtung. Als Lebensweltenbewohner bringe ich meine Kinder hier in die Schule, besuche ein Seminar im Gabrium, kaufe Gemüse beim Klosterbauern, setze mich in den Park zum Entspannen oder lasse schnell mein Rad in der Werkstatt reparieren. Dann hole ich die  Kinder von der Schule ab und gehe gemütlich auf dem Gelände mit ihnen essen. Ein friedlicher, inspirierender und funktionierender Mikrokosmos!

Hat Sie das intensive Engagement für dieses Projekt „Lebenswelten“ persönlich verändert?

Es war für mich ein Herzensprojekt und hat so manches verändert. Einige Dinge wurden weniger wichtig, andere sehr wichtig. Ich bin beispielsweise etwas bescheidener geworden, was die Machbarkeit der Zukunft betrifft. Früher habe ich gesagt: Das machen wir, Punkt. Vielleicht ist es auch ein bisschen dem Alter geschuldet, aber heute sage ich: Mein Tun ist ein kleines Rädchen als Metapher für: Man hat nicht immer alles in seiner eigenen Hand. Und ich habe einen größeren Respekt vor den Möglichkeiten der Begegnung – ob mit anderen Kulturen oder anderen Menschen. Das sind Inspirationsquellen, die ich heute einfach stärker schätzen kann.